Kritische Anmerkungen zum Gesetzentwurf der CDU/CSU: “Strafgesetzbuch und andere Gesetze - Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und schutzbedürftige Personen”
Femi(ni)zide - unsere Wortkombination aus “Feminizid” und “Femizid”, die beide die Tötung von Frauen durch Männer bezeichnen, weil sie Frauen sind - und versuchte Femi(ni)zide passieren in Deutschland fast täglich. Nach der offiziellen BKA-Statistik wurden in Deutschland in den letzten drei Jahren (2021, 2022, 2023) mehr Frauen als Männer getötet. Im weltweiten Vergleich dürfte Deutschland derzeit eines der wenigen Länder sein, in dem es mehr weibliche als männliche Opfer bei vollendeten Tötungsdelikten gibt. Im Gegensatz zu männlichen Opfern wird ein erheblicher Teil der weiblichen Opfer von (Ex-)Partnern, Familienangehörigen oder Bekannten getötet. Nun hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches vorgelegt, welches sich unter anderem mit geschlechtsspezifischen Tötungen befasst: “Strafgesetzbuch und andere Gesetze - Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und schutzbedürftige Personen” (Drucksache 20/12085, 02.07.2024). Die parlamentarische Diskussion fand am 4. Juli statt, und der Gesetzentwurf wird derzeit im Rechtsausschuss erörtert.
Als Wissenschaftlerinnen mit umfangreicher Erfahrung in der Erforschung von Femi(ni)ziden und in der aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema in Deutschland begrüßen wir die durch den Gesetzentwurf ausgelöste Diskussion und sehen uns veranlasst, unsere kritischen Einsichten dazu zu teilen. Wir erachten es als unerlässlich, die bestehenden Kenntnisse und Erfahrungen in diesem Bereich zu berücksichtigen, die Ratifizierung der Istanbul-Konvention durch Deutschland zu würdigen und frühere Diskussionen auf Bundesebene (z.B. Drucksache. 19/23999 und Plenarprotokoll 19/192) mit ein. Unsere Stellungnahme umfasst sechs Aspekte: den strukturellen Charakter von Femi(ni)zid, die Notwendigkeit der Anerkennung verschiedener Arten von Femi(ni)zid, die Notwendigkeit eines umfassenden Gesetzes (über die bloße Kriminalisierung hinaus), die Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Akteure, die Vermeidung einer Politisierung des Problems und seiner Strategien sowie die Notwendigkeit, umfassende Daten über Femi(ni)zide zu erheben und auszuwerten.
-
Anerkennung von Femi(ni)zid als strukturelles Problem. Femi(ni)zid ist nicht nur ein “privates” oder “individuelles” Problem, sondern ein strukturelles gesellschaftliches Problem, das in sozialen Konstruktionen und Machtdynamiken in Bezug auf das Geschlecht verwurzelt sind. Ein struktureller Ansatz zur Bekämpfung von Femi(ni)zid beinhaltet daher, dass die Ursachen auf allen Ebenen - staatlich, zivilgesellschaftlich und individuell - anstatt sich nur auf oberflächliche Reformen zu verlassen. Die Istanbul-Konvention verlangt Pläne, die alle folgenden Aspekte berücksichtigen: die Änderungen von Gesetzen, die Einführungeiner Datenbank und eines entsprechenden Monitorings, die Entwicklung von Präventionsstrategien durch Bildungs-, Sensibilisierungs- und Schulungsprogramme, die Entwicklung von Schutz- und Unterstützungsinstrumenten sowie die internationale Zusammenarbeit. Dennoch ist Femi(ni)zid in der deutschen Gesetzgebung noch immer nicht offiziell als strukturelles Problem anerkannt. Daher kritisieren wir, dass der Gesetzentwurf den Schwerpunkt auf die physische Überlegenheit von Personen legt und nicht auf die Machtdynamik zwischen den Geschlechtern (die sowohl Frauen als auch Männer betreffen). Die Beschränkung auf diese physischen Aspekte könnte schwerwiegende Folgen in Gerichtsverfahren haben, da sie die Motive und Probleme, die mit Femi(ni)ziden einhergehen, außer Acht lässt. Auch wenn das Handeln des Einzelnen zu verurteilen ist, ist es eine staatliche sowie eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, dem strukturellen Problem der Femi(ni)zide ganzheitlich entgegenzuwirken. Wir empfehlen daher, dass jeder Gesetzentwurf und jede Strategie alle diese Verantwortungsebenen berücksichtigt.
-
Femi(ni)zid in seiner Komplexität angehen. Femi(ni)zid ist ein komplexes Phänomen, das sich auf verschiedene Weise manifestiert. Daten des BKA zeigen, dass im vergangenen Jahr 339 Frauen in Deutschland getötet wurden, wobei 202 dieser Fälle in überregionalen Zeitungen näher beschrieben worden sind. Eine vorläufige Analyse von Feminizidmap zeigt, dass von diesen 202 Tötungen 45% der Frauen höchstwahrscheinlich von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wurden und etwa 35% höchstwahrscheinlich von anderen männlichen Verwandten oder Bekannten (z. B. Verehrer, Vater, Sohn, Bruder, Kollege, Zuhälter). Der vorliegende Gesetzesentwurf erwähnt die Tötung von Frauen durch ihre (Ex-)Partner, insbesondere im Zusammenhang mit einer Trennung, vernachlässigt aber die Tatsache, dass Femi(ni)zid über die Gewalt durch Intimpartner hinausgeht. Sozialwissenschaftler haben daher Kategorien entwickelt - wie intime, familiäre, nicht-intime, kinderbezogene, serielle und rassistische Femi(ni)zide -, um die Dynamik der einzelnen Typen besser zu verstehen. Die Analyse dieser Kategorien sollte als eine Grundlage in politische Maßnahmen einfließen. Ohne den umfassenden Blick auf alle Arten von Femi(ni)ziden besteht die Gefahr, dass Strategien entwickelt werden, die nur einen Bruchteil des Gesamtproblems erfassen. Während wir Vorschläge begrüßen, die sich mit Femi(ni)zid in Partnerschaften befassen, der einen erheblichen Anteil an den gesamten Femi(ni)ziden in Deutschland ausmacht, stellen wir in Frage, das Problem ausschließlich auf diese Art von Femi(ni)zid zu reduzieren.
-
Ein umfassendes Gesetz anstreben. In der Femi(ni)zid-Forschung werden zwei Arten von Gesetzen unterschieden: unidirektionale Gesetze, d.h. solche, die sich nur auf den strafrechtlichen Aspekt konzentrieren und die Kategorie nur in das Strafgesetzbuch aufnehmen, und ganzheitliche Gesetze, die über den strafrechtlichen Bereich hinaus Elemente der Prävention und Unterstützung berücksichtigen. Ein ganzheitlicher Ansatz betont, dass die Kriminalisierung von Femi(ni)ziden per se nicht die Lösung für diese Verbrechen ist, sondern vielmehr ein Teil einer umfassenden Strategie, die viele soziokulturelle Aspekte umfasst. Ein ganzheitlicher Ansatz berücksichtigt auch die Umsetzung und die Prozesse zur Sensibilisierung der Justiz, da es nicht ausreicht, ein gutes Gesetz zu haben, wenn es nicht korrekt angewendet wird. Die Kriminalisierung von Femi(ni)zid allein wird das Problem nicht lösen, wie Erfahrungen aus anderen Ländern gezeigt haben.
-
Einbeziehung von Erkenntnissen verschiedener Experten in die Diskussion. Femi(ni)zid erstreckt sich über mehrere gesellschaftliche Bereiche und erfordert daher umfassende Debatten und strategische Aktionspläne, die verschiedene gesellschaftliche Akteure einbeziehen. Die Sichtweise von Strafrechtlern ist zwar relevant, doch sind Beiträge aus anderen Rechtsbereichen ebenso wichtig. Darüber hinaus sind die Erkenntnisse verschiedener gesellschaftlicher Akteure wie Soziologen, Ökonomen, Sozialarbeiter und der Zivilgesellschaft ebenso wichtig. Wir sind daher der Meinung, dass ein Gesetzentwurf aus einem solchen umfassenden Dialog hervorgehen sollte.
-
Politisierung von Femi(ni)zid vermeiden. Femi(ni)zide und generell Gewalt gegen Frauen sind Alltag in Deutschland, daher sollte es alle Parlamentarier unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit betreffen. Die aktuellen Debatten um Femi(ni)zid in Deutschland bergen jedoch ein erhebliches Risiko, zu einer politisierten Angelegenheit zu werden, wie die Diskussion des Deutschen Bundestages zum Antrag 19/23999 zeigt (siehe Plenarprotokoll 19/192 und seine Analyse hier). Ein Beispiel für einen bewährten Umgang mit Femi(ni)ziden in der Politik ist der Fall Mexiko, wo es allen politischen Blöcken gelungen ist, einen Dialog aufzunehmen und gemeinsam an der Ausarbeitung eines umfassenden Gesetzes zu arbeiten. Eine Schlüsselfrage in der aktuellen Debatte ist daher, ob die deutschen Politiker*innen in der Lage sein werden, ihre Differenzen zu überwinden und effektiv zusammenzuarbeiten, um das Problem auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse anzugehen.
-
Umfassende Daten zu Femi(ni)zid erheben und auswerten. Als Mitglieder des unabhängigen Forschungsprojekts Feminizidmap, das seit 2019 alle in den Medien erwähnten Tötungsdelikte an Frauen in Deutschland detailliert dokumentiert, erkennen wir den dringenden Bedarf an umfassenden Daten und darauf basierender Forschung zu Femi(ni)ziden in Deutschland. Eine solche Forschung kann die Grundlage für eine datengestützte Gesetzgebung und andere begleitende Strategien sein.
Schließlich rufen wir dazu auf, Femi(ni)zid nicht aus rassistischen und fremdenfeindlichen Perspektiven zu diskutieren, die fälschlicherweise nicht-westlichen Kulturen die alleinige Schuld an diesen Verbrechen geben. Wir hoffen, dass die Diskussion des vorliegenden Gesetzentwurfs einen umfassenderen Dialog über Femi(ni)zide in Deutschland anregt, der die hier skizzierten Punkte berücksichtigt.
Aleida Luján-Pinelo, Postdoktorand, Rechtswissenschaften, Universität Turku / Feminizidmap Mitbegründerin
Dr. Nora Reich, Wirtschaftswissenschaftler und Experte für Datenanalyse / Feminizidmap Mitglied